Eine alte Römerstraße durch die Allmannsweirer Felder

Geschrieben von Thomas Foerster

Über Jahrhunderte hatte Allmannsweier keine direkte Verbindungsstraße nach Ottenheim. Erst 1894 eröffnete das ‚Bähnle‘ eine direkte Strecke durch den Weidenbruch ins Nachbardorf, und erst Jahrzehnte später baute man entlang der gleichen Trasse die heutige L104. Wollte man zuvor an den Rhein, so ging man auf der Kürzeller Straße nach Norden, bog auf dem Fohrenbühl nach Westen ab und kam entlang des Waldrandes nach Ottenheim. Dieser Weg mag heute nur noch ein gewöhnlicher Feldweg sein, ungewöhnlich ist aber, dass er einen Namen hat: man nennt ihn ‚Weibelsweg‘, ‚Weiblingsweg‘, oder wie er den Menschen im Ried vertraut ist, den ‚Wiwlisch Wai‘. Das ist für Feldwege überaus ungewöhnlich. Sieht man ihn sich darüber hinaus auf einer Karte an, fällt auf, dass er sich in gerader Linie, wie mit einem Lineal gezogen, von Ottenheim an Allmannsweier vorbei nach Südosten zieht. Bevor der Flugplatz gebaut wurde, führte der Weg auch weiter bis nach Hugsweier, wo er, im Osten der militärischen Anlagen, auch heute noch als ‚Heerweg‘ und als ‚Hugsweirer Hauptstraße‘ wieder auftaucht. Dieser alte Weg führt uns in die früheste Geschichte unserer Region.

Schon die ältere Forschung war sich einig, dass es sich bei diesem ‚Weibelsweg‘ um eine überaus alte Verbindung handeln muss, um eine Straße, die schon in römischer Zeit die Vogesen mit dem Schwarzwald, Gallien mit den eroberten rechtsrheinischen Gebieten verband. Ursprünglich war die Ortenau ein unbesiedeltes Sumpfland: feuchte Moore, die immer wieder vom ungebändigten Rhein überschwemmt und von Schnaken heimgesucht wurden. Die großen Siedlungsbewegungen in der Ur- und Frühgeschichte und auch die Kelten haben unsere Region zumeist links liegen gelassen. Erst unter den Römern fand eine Erschließung und Besiedlung statt. Sie hatten das gesamte Land rechts des Oberrheins im ersten Jahrhundert nach Christus in Besitz genommen, als ‚Dekumatland‘ ihrem Reich angegliedert und mit dem Limes abgesichert. So wurde nun auch die Ortenau erschlossen, zum Einen durch die große Fernstraße, die von Mainz bis zum Hochrhein führte und die sich noch in den ausgegrabenen Straßenstationen von Niederschopfheim, Friesenheim und Kippenheim, wie auch der Siedlung in Dinglingen erkennen lässt. Kurz darauf errichtete man eine Straße durch das Kinzigtal, ab Argentorate in Raetiam, „von Straßburg nach Raetien“, wie es auf einem in Offenburg gefundenen Meilenstein heißt. Damit ermöglichte man schnelle Truppenbewegungen und florierenden Handel zwischen dem Legionslager am Rhein und dem dahinterliegenden Gallien mit den Städten und den Stützpunkten im Südosten, wie etwa Rottweil und den Limeskastellen an der Donau. 

Neben diesen Hauptstraßen gab es in den römischen Provinzen aber auch eine große Zahl von Neben- und Privatstraßen. Der Feldvermesser Siculus Flaccus beschrieb in seinen theoretischen Werken öffentliche, lokale und private Straßen (viae publicae, vicinales und privatae) im römischen Reich. Die öffentlichen Straßen wurden von der staatlichen Verwaltung in Rom geplant und gebaut und dienten sowohl als Handels- als auch als Militärstraße. Während die Privatstraßen lediglich der Anbindung von Zivilsiedlungen an die Verkehrswege dienten, entstanden die Vicinalstraßen im Auftrag der Provinzverwaltung und dienten der Verdichtung des lokalen Verbindungsnetzwerkes zwischen den großen Siedlungen und den öffentlichen Straßen. Die wenigsten dieser Straßen, so muss man anmerken, waren mit Steinplatten gepflastert. Ihre Baustruktur hing ab von ihrer Bedeutung, der Geländebeschaffenheit und dem verfügbaren Baumaterial.

Während die Straßen durch das Rhein- und das Kinzigtal eindeutig als Viae publicae gesehen werden können, dürfte der Weibelsweg als Vicinalstraße gelten. Er führte nicht nur bis Hugsweier (das zu jener Zeit noch nicht existierte), sondern war wohl auch die Verbindung des Rheins mit der Passstraße über den Schönberg. Dass diese Abkürzung zum Kinzigtal, ebenso wie auch die Wege um Ottenheim schon in römischer Zeit bekannt war, belegen kaiserzeitliche Münzen, die man an diesen Orten schon früh gefunden hat – so wie auch entlang des Weibelsweges. So konnte man, vom Kinzigtal kommend, dieser Straße durchs Schuttertal folgen. Von dort passierte man die beherrschende römische Siedlung in Burgheim, überquerte beim heutigen Hugsweier die Schutter und kam durchs sumpfige Ried bei Ottenheim an den Rhein. Diesen überquerte man mit der Fähre, nahm dann die heutige ‚Rue du Rhin‘, die früher als ‚Altweg‘ bekannt war, weiter nach Westen. Durchs heutige Gerstheim (wo die Forschung vereinzelt ein Militärlager vermutet hat) kam man auf eine andere Nord-Süd-Verbindung, die im elsässischen noch heute ‚Heidenstraessel‘ genannt wird, in die alte gallorömische Stadt ‚Ellelum‘, bzw. ‚Helvetus‘, dem heutigen Ort Ehl bei Benfeld.

Im 3. Jahrhundert stürzte das Römerreich in eine Krise, und schon bald wurde der Limes von Völkerschaften überrannt, denen die Römer nie mehr Herr werden sollten: Die Alemannen. Viele der Römer und Kelten flüchteten vor diesem Sturm, und viele der Städte und Straßen wurden in dieser Zeit aufgegeben. Die Alemannen brachten keine römischen Ingenieurskünste mit, und so versumpfte die Ortenau bald wieder und wurde zum siedlungsfeindlichen Land. Von den gemeinhin als alemannisch geltenden Ortsnamen auf -ingen findet sich in unserer Region nur Dinglingen im Umfeld der alten römischen Siedlung. (Weiter südlich, im viel trockeneren Breisgau, gibt es mit Kenzingen, Malterdingen, Bötzingen, Ihringen und vielen anderen wesentlich mehr dieser alemannischen Namen). Das Ried verwaiste und die neuen Herren schafften es nie, ein zentralisiertes Herrschaftssystem zu errichten. 

Ganz anders war dies beim Stamm der Franken, die sich immer mehr politisch organisierten und zuletzt mit den Merowingern ein starkes Königtum hervorbrachten, das nicht zuletzt auch sehr expansiv eingestellt war. Diesen Eroberungswillen bekamen auch die Alemannen zu spüren. Im Jahre 496 traf ihr Heer mit dem der Franken bei Zülpich zusammen und erlitt eine vernichtende Niederlage. Daraufhin wurden das rechtsrheinische Gebiet als Herzogtum in den fränkischen Herrschaftsverband einbezogen – und die Franken nahmen auch bald von dem neuen Land Besitz. Zuerst im Elsass, und dann auch jenseits des Flusses gründeten die Franken neue Siedlungen als Herrschaftsmittelpunkte. Insbesondere die Ortenau als Vorland Straßburgs wurde nun zum Gebiet der strategisch angelegten Herrschaftserfassung. Die als fränkische Gründungen geltenden -heim-Orte finden sich bei uns insbesondere an strategisch günstigen Punkten entlang des Rheins, wie Ottenheim, Meißenheim, Ichenheim oder Altenheim, und an wichtigen Höhenlagen im Vorland des Schwarzwaldes, wie Schopfheim, Friesenheim oder Burgheim. Dass gerade in Burgheim ein bedeutender Fürstensitz entstand, zeigt auch, dass die Franken hierbei die von den Römern verlassenen und von den Alemannen nicht benutzten römischen Überreste und Ruinen für ihre Zwecke zu nutzen wussten. Das galt in gleichem Maße für die Infrastruktur, und man kann annehmen, dass in jener Zeit auch der Weibelsweg wieder aktiviert und wieder benutzt wurde. 

Das fränkische Königsgut in Ottenheim und Burgheim – und damit auch die Straße, die beide Orte verband – war über das gesamte Früh- und Hochmittelalter von Bedeutung. Die Güter mögen als Lehen in der Hand der Zähringer gelegen haben, sie mögen von den Staufern im 13. Jahrhundert wieder an das Reich gezogen, oder an Familien wie die Geroldsecker verliehen worden sein. Die strategische Bedeutung des Schuttertals, des Ottenheimer Rheinübergangs und der sie verbindenden Straße blieb durch all diese Besitzwechsel hindurch die Gleiche. Beherrschten Römer und Franken den Ausgang des Tals noch von Burgheim aus, so taten es die Geroldsecker nun mit ihrer Niederungsburg Lahr. Den Rheinübergang sicherten sie mit der Burg Schwanau. Die gesamte frühe Herrschaft der Geroldsecker, von Ottenheim über Lahr, das Schuttertal und den Schönberg, scheint sich auf die Sicherung dieser Straße konzentriert zu haben. Der Weibelsweg war damit auch im Hochmittelalter noch eine wichtige Verbindung. Aus dieser Zeit, so mag man anmerken, stammt wohl auch der Name der Straße. Er dürfte sich von der mittelhochdeutschen Amtsbezeichnung des ‚Weibels‘ herleiten, eines Gerichtsboten oder eines Amtsdieners der Herrschaft. In den alemannischen Dialekten findet sich die Bezeichnung zuweilen noch, im Hochdeutschen nur noch im ‚Feldwebel‘, bzw. in der Schweiz im ‚Feldweibel‘.

Auch in der Neuzeit verlor die Straße ihre Bedeutung nicht. Grimmelshausens berühmter Simplicissimus dürfte unseren Weibelsweg benutzt haben, als er, von Norden kommend, für einen Spähauftrag nach Ottenheim geschickt wurde, dort aber ein unfreiwilliges Bad im Rhein nahm. Als der französische Marschall Turenne mit seiner Armee am gleichen Ort 1675 den Fluss überschritt, folgte er wohl ebenfalls dieser Straße nach Hugsweier zur Hauptstraße, die seine Armee zu ihrem nächsten Quartier in Willstätt führte. Die Karten der Neuzeit verzeichnen den Weg als ‚Vicinal-Straße‘ und schließen damit – ganz klassizistisch – den Kreis zu den Bezeichnungen der Antike. 

Als die Landstraße L104 und der Flugplatz gebaut wurden, wurde der Weibelsweg unterbrochen, verlor an Bedeutung und wurde zum bloßen Feldweg degradiert. Nur wenigen Einheimischen ist die alte Benennung noch ein Begriff und nur einzelne Straßenbezeichnungen erinnern heute noch an den alten Namen oder die alte Bedeutung dieser Straße, etwa sein westlicher Ansatz in Ottenheim als ‚Weiblingsweg‘, oder seine östliche Fortführung in Hugsweier als ‚Heerstraße‘. Über Jahrhunderte zuvor aber war der Weibelsweg eine bedeutende Provinz-, Vicinal-, Herrschafts- und Heerstraße gewesen. Er verband das Elsass mit der südlichen Ortenau, die Vogesen mit dem Schwarzwald und die Menschen des Oberrheins miteinander.