Die letzten Kriegsmonate in Allmannsweier

Geschrieben von Thomas Foerster

Im Herbst 1944 begann das Ende der Nazidiktatur und des unendlichen Leids, das sie über Europa gebracht hatte. Im Juni waren die Westalliierten in der Normandie gelandet und kämpften sich durch Frankreich vor. Mitte Oktober hatte die Rote Armee im Osten die alte deutsche Reichsgrenze überschritten und eroberte Ostpreußen. Die deutschen Städte wurden täglich von der britischen oder amerikanischen Luftwaffe bombardiert. Der Kollaps der Wehrmacht erschien Unverblendeten nur noch eine Frage der Zeit. 

Auch im Ried sah man häufig die Bomberflotten ins Reichsgebiet fliegen. Die von den Flugzeugen zuweilen abgeworfenen Zusatz-Treibstofftanks wurden freudig aufgesammelt, war doch Treibstoff in den letzten Kriegsmonaten überaus knapp geworden, und in den Tanks befand sich zumeist noch ein kleiner Rest des wertvollen Materials. Zuweilen warfen die Bomber aber über dem Ried auch ihre tödliche Last ab. Vereinzelt griffen alliierte Tiefflieger Ziele in den Dörfern an. Zumeist galten die Angriffe Truppenkolonnen oder Versorgungswagen der Wehrmacht, bisweilen wurden jedoch auch Zivilpersonen getroffen. Der zehnjährige Erwin Nierlin wurde mit einer Fuhre Öhmd von einem Flieger erwischt: die Kuh, die seinen Wagen zog, kam dabei ums Leben, er selbst wurde verletzt. Im Oktober 1944 griffen zwei Tiefflieger mit Leuchtspurmunition das ‚Bähnle‘ an, das mittlerweile zum letzten Verkehrsmittel nach Lahr geworden war und eben ins Dorf hineinfuhr. Um zumindest einigermaßen außer Sicht zu sein, hielt der Zug vor einem Schopf, die meisten Fahrgäste retteten sich ins Haus, andere suchten Schutz unter den Obstbäumen im Garten. Dennoch starb eine Frau aus Willstätt und der Schopf des Daniel Stolz brannte nieder. Immer neue Bomberflotten flogen über den Rhein und das Ried, und immer weniger Widerstand konnte ihnen die deutsche Luftwaffe noch entgegensetzen. Anfang Dezember 1944 ereignete sich über dem Dorf ein Luftkampf, in dem zwei deutsche Messerschmitt Bf 109-Jäger abgeschossen wurden. Einer der beiden Piloten konnte sich mit dem Fallschirm retten und landete neben der Kirche. Der andere hatte über Kopf das Dorf überflogen und stürzte im Feld ab. Den Frauen und älteren Kindern des Dorfes kam die schreckliche Aufgabe zu, die sterblichen Überreste aus der zerschmetterten Pilotenkanzel zu bergen. Das Grab des Fliegers liegt noch heute auf dem Friedhof. 

Auch zu anderen Aufgaben wurden die verbliebenen Allmannsweirerinnen und Allmannsweirer immer wieder herangezogen, vor allem zum Schanzen. Immer wieder fiel die Schule aus, da die Kinder Schanzdienste leisten mussten, um in den Feldern Schützengräben auszuheben und Panzersperren zu errichten. Damit, so die Wehrmachtsführung, sollte der seit Monaten unaufhaltsame Vormarsch der Alliierten doch noch abgewehrt werden. Am Westwall sollte noch einmal alles auf eine Karte gesetzt werden, um die feindlichen Kräfte aus dem Süden des Reiches fernzuhalten. Viel mehr als Zwang und Propagandaparolen hatten SS und Wehrmacht aber nicht zu bieten. Als die Franzosen das Elsass befreit hatten und sich dem Rhein näherten, hatten sich viele der NSDAP-Oberen schon abgesetzt, doch Ungehorsam wurde in Allmannsweier auch weiterhin nicht geduldet. 

Über den Winter hatten die Franzosen das linke Rheinufer besetzt. Damit lagen die Dörfer des Rieds in der Reichweite der französischen Artillerie. Da man auf dem Kirchturm einen Beobachtungsposten für die deutschen Geschütze vermutete, fielen am 5. Februar 1945 die ersten Brandgranaten ins Dorf, insbesondere in der Nähe der Kirche. Auf den Anwesen des Karl Dietrich und des Karl Heitz brannten die Ökonomiegebäude bis auf die Grundmauern nieder. Menschenleben waren keine zu beklagen, da sämtliche verbliebenen Einwohner in den Kellern Schutz gesucht hatten. Als Reaktion darauf wurden, wie schon 1940, die Allmannsweirer Frauen und Kinder, wie auch die Flüchtlinge aus Ostpreußen, evakuiert. Karl Dietrichs Sohn Klaus, zu diesem Zeitpunkt gerade 10 Jahre alt, beschrieb den Beschuss in einem Brief an seinen Bruder Hans, der in jenen Tagen in Italien kämpfte: „wir sind nicht mehr zu Hause, den es schießt immer zu uns. Vor dem Hoftor ist eine Granate eingeschlagen. Wir waren eine Woche im Keller. Als es bei uns gebrant hat ist sHeize auch abgebrant, ins Bootze wäre es auch fast noch gekommen, als die große Wand von Heize einsturtse, kam Bootz darunter, er hat ein Bein gebrochen und liegt im Krankenhaus. Haizi hat ihre einzige Sau verbrannt“.

Immer wieder wurden Granaten ins Dorf geschossen. Am 11. Februar erlitt das Kirchenschiff einen Treffer. Am 15. Februar kam es wieder zum Beschuss, in welchem der Schopf des Karl Urban abbrannte. Wieder zehn Tage später brannten die Scheune des Johann Schönherr und der Stall des Ludwig Liebig vollständig nieder. Am 21. März fiel den Angriffen ein polnisch-ukrainischer Zwangsarbeiter zum Opfer, welcher der Landwirtschaft des Johann Georg Walter zugeteilt war. Ivan Adaszyński stammte aus dem heutigen Kostopil im ukrainischen Oblast Riwne und wurde zunächst auf dem Friedhof der Gemeinde bestattet.

Am 15. April überschritt die französische 9. Kolonial-Infanteriedivision in Straßburg den Rhein und wandte sich nach Süden. Durch Altenheim, Dundenheim und Ichenheim konnte sie kampflos vordringen, auch Meißenheim, Kürzell und Hugsweier wurden noch am Abend besetzt. In Ottenheim kam es zu ersten Kampfhandlungen. Wehrmacht und SS hielten Lahr als Festung besetzt und hatten den Schutterentlastungskanal als Hauptkampflinie festgelegt. Auf dem Schutterlindenberg hatten deutsche Geschütze Stellung genommen, welche die französischen Panzer in der Rheinebene unter Beschuss nahmen. Allmannsweirer Bauern wurden von den verbliebenen Wehrmachtsverbänden gezwungen, die letzten Geschütze nach Kippenheim und in den Kaiserwald zu schleppen. Um das gesamte Dorf herum hatte man sämtliche Bäche aufgestaut und so die Felder geflutet, um den französischen Vorstoß noch zu verlangsamen. Augenzeugen beschrieben später die Invasion von Störchen, welche in jenen Tagen in den wasserreichen Feldern genistet hatten.

Trotz aller Abwehrmaßnahmen wurde am 16. April Allmannsweier besetzt. Französische Panzer rückten über die Kürzeller Straße ins Dorf ein. Damit endete der Krieg aber noch nicht. Vielmehr wurde das Dorf nun Frontstadt. Die französischen Soldaten fanden die Bevölkerung in den Kellern vor und nahmen 10 Sicherheitsgeiseln. Die deutsche Batterie in Kippenheim nahm, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, das Dorf unter Beschuss, was wieder viele Zerstörungen zur Folge hatte. In den folgenden Stunden versuchte eine französische Kompanie, nach Nonnenweier durchzustoßen, scheiterte aber im deutschen Artilleriefeuer und an der Gegenwehr der dort stationierten Einheiten der Waffen-SS und des Volkssturms. Um 16 Uhr meldete das Oberkommando der 19. Armee an Generalfeldmarschall Kesselring: „In den Mittagsstunden griff der Gegner mit stärkeren Kräften an und konnte in den Nordteil des Ortes eindringen. Gegenstoß angesetzt, 2 Panzerspähwagen in Brand geschossen“. Erst am nächsten Tag eroberten marokkanische Soldaten Nonnenweier. Danach wandten sie sich Lahr zu, das kurz darauf erstürmt wurde. 

Der Krieg zog weiter, und Allmannsweier blieb unter französischer Besatzung. Einzelne Mitglieder des Volkssturms wurden gefangengesetzt. Wie in anderen Rieddörfern soll es auch in unserem Dorf zu Plünderungen und Vergewaltigungen gekommen sein. Die französischen Offiziere stellten aber schon bald die Disziplin wieder her. Schon in Schuttern, das am folgenden Tag eingenommen wurde, vermerkte Pfarrer Landis „Es geschah keine Gewalttat, keine Plünderung. Kein Mädchen und keine Frau wurden verletzt“. Immer wieder sollte es in den folgenden Monaten zu Requirierungen durch die französischen Truppen kommen, endlich aber war der Krieg vorbei, und die meisten Menschen im Dorf konnten wieder frei aufatmen. Am 8. Mai, als die letzten Reste der Wehrmacht in Berlin kapituliert hatten, läuteten auch in Allmannsweier die verbliebenen Glocken. Rote und grüne Leuchtkugeln wurden in den Nachthimmel geschossen. Die Evakuierten kehrten in den folgenden Wochen heim und im Dorf begann man mit dem Wiederaufbau der zerstörten Häuser, Scheuern und Ställe.

Obwohl die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes immer deutlicher zu Tage traten, setzten sich viele Allmannsweirer Bürger für die früheren Träger der Diktatur ein, auch für den früheren Ortsgruppenleiter, der auf Betreiben des neuen Bürgermeisters schon bald aus der Haft entlassen wurde. Dieser Einsatz ging oft so weit, dass sich der von den Alliierten eingesetzte Lahrer Landrat Dr. Wilhelm Lenssen am 4. Juli 1945 veranlasst sah, ein Rundschreiben an die Bürgermeister des Landkreises zu schicken, in welchem er sich gegen diese Fürsprache verwehrte. „Ich gebe allen einsichtigen Bürgern zu bedenken, dass unter den Nazis kein Mensch sich unterstanden hätte, für einen Nazigegner Unterschriften zu sammeln, dass ferner gerade diejenigen, die jetzt verurteilt werden, mit zu unserem augenblicklichen Elend in erheblichem Maße beigetragen haben“.

Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Diktatur sollten noch Jahrzehnte dauern. Schneller ging der materielle Wiederaufbau. 60 Gebäude waren zerstört, von Fliegern und von Artillerie, von französischer wie auch von deutscher. Der Mangel an Arbeitskräften erschwerte manche Bauarbeiten und das knapp bemessene Baumaterial musste nicht selten auf dem Schwarzmarkt, gegen Tabak oder Selbstgebranntes, erworben werden. In der Seite des Kirchenschiffes klaffte ein großes Loch und sämtliche Fensteröffnungen waren mit Brettern verschlagen. Erst 1948, durch den Verkauf von gespendetem Tabak konnten wieder neue Fenster erworben werden; im Jahr darauf auch neue Glocken. Erst nach Jahren des Wiederaufbaus und der Besatzung konnte in Allmannsweier langanhaltender Friede einkehren.