Allmannsweierer Auswanderer

Geschrieben von Thomas Foerster

Die frühe Neuzeit war eine schwere Periode für Allmannsweier. Immer wieder wurde das Dorf von durchziehenden Armeen geplündert und zerstört. Immer wieder mussten sich die Dorfbewohner ins stark befestigte Straßburg oder in die Rheinauen retten, um wenigstens mit dem Leben davonzukommen. Hielten sich im 18. Jahrhundert die Kriege von der Region fern, so gab es immer wieder Naturkatastrophen, Hungersnöte und Teuerungen. Politische Missstände erregten Unmut und Widerstand, auch in unserem Dorf. Als Folge davon gaben viele Allmannsweirer Familien über die Jahrhunderte ihren Hof auf, um in fernen Ländern, in Europa und in Übersee eine neue Heimat zu finden.

Eine große Welle von Auswanderern verließ das Dorf im späten 18. Jahrhundert. Zwar hatte die Region eine lange Friedenszeit erlebt, in der die Bevölkerung wieder stetig anstieg. Dies brachte aber auch viele hungrige Münder mit sich, die um die wenigen Ressourcen konkurrierten. In den 1760er Jahren litt man wiederholt Hunger, und 1770 wurde die Region von einem verheerenden Rheinhochwasser heimgesucht. Zudem hatte in diesem Jahr auch noch eine Teuerung eingesetzt. Schon lange waren österreichische Werber durch den südwestdeutschen Raum gezogen, um Siedler für die weiten, die neu erworbenen Gebiete der Habsburgermonarchie im Osten, in Siebenbürgen und Ungarn, zu finden. Das Versprechen von großen Höfen, fruchtbarem Boden und finanziellen Vergünstigungen klang für manchen geplagten Allmannsweirer verlockend, und in der Notlage um 1770 viele gingen auf das Angebot ein. Über 70 Personen machten sich auf. Sie verkauften Haus und Hof, mussten zehn Prozent ihres Vermögens als Auswanderungssteuer abgeben und zogen nach Osten, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Die meisten dieser Allmannsweirer zogen in den Ort Mühlbach in Siebenbürgen. Damals im habsburgischen Königreich Ungarn gelegen und schon seit dem 12. Jahrhundert von Deutschen, den sogenannten Siebenbürger Sachsen, besiedelt, heißt der Ort heute Sebeș und liegt in Rumänien. Manche haben noch Besitz zurückgelassen und dafür Vogtleute als Verwalter eingesetzt. Jacob Binder war etwa einer der Auswanderer in Siebenbürgen, hatte aber dann nie wieder, wie es in den Gerichtsakten heißt, etwas von sich hören lassen, so dass es 1798 seinem Vogtmann gestattet wurde, das verbliebene Vermögen in der Familie zu verteilen. Andere kehrten kurzzeitig zurück, um derartige Erbstreitigkeiten selbst zu regeln. Andere fanden in der Fremde nicht das gesuchte Glück und ließen sich schon bald wieder in der alten Heimat nieder. 

Im Gegensatz zur Auswanderung nach Siebenbürgen, die auf Anwerbung hin geschah, und wo ein großer Teil der Bevölkerung das Dorf auf einen Schlag verließ, war die Auswanderung nach Amerika ein viel langsamerer, allmählicher Prozess. Das demokratische Amerika war im 19. Jahrhundert immer eine Alternative für nachgeborene Söhne armer Familien in Europa, und die Zeitungsberichte über das Leben dort schafften es natürlich auch nach Allmannsweier. Der erste Amerikaner aus dem Ort war Johannes Leppert, der die Heimat 1832 mit seiner Familie verließ. Ihm folgten in den nächsten Jahrzehnten noch viele Allmannsweirer Familien. 1851 machte sich Johannes Rudel auf den Weg, der noch als junger Soldat in den Napoleonischen Kriegen gekämpft hatte. Oft waren es die Menschen, die hier nichts hatten oder nichts zu erhoffen hatten, die sich nach Amerika aufmachten. Über Carl Leser heißt es im Kirchenbuch, er sei „im Frühjahr 1846 als notorisch Armer nach Nordamerika ausgewandert“. Ein besonderes Beispiel bieten die Brüder Ferdinand und Theobald Herrmann, die 1853 nach Chillicothe in Ohio übersiedelten. Sie waren die unehelichen Söhne einer Tagelöhnerin, die selbst ein uneheliches Kind einer Dienstmagd war. In Allmannsweier erwartete sie nur das Armenhaus, wo eine ihrer Schwestern später verstarb, zwar „unbescholten“, wie es im Kirchenbuch heißt, aber mittellos. Wie ein verheißenes Land musste solchen Menschen Amerika klingen, ein Land der Gleichheit, in dem man sich, wie man sagte, vom Tellerwäscher zum Millionär hocharbeiten konnte. So weit mögen es die beiden Brüder nicht geschafft haben, aber Ferdinand Herrmann finden wir immerhin im amerikanischen Zensus von 1880 in Ohio wieder – mit eigener Farm, verheiratet und mit sechs Kindern. 

Natürlich zog es auch andere nach Amerika, nicht nur sozial benachteiligte. Manche waren nachgeborene Söhne, andere hatten einfach nur Abenteuerlust. Andere waren Deserteure. Carl Urban schaffte es im Jahre 1834 als Handwerksbursche auf der Walz bis nach Cincinnati und blieb sein Leben lang dort. Auch begeisterten sich nicht alle gleichermaßen für das neue Leben in der neuen Welt. 1852 musste Andreas Heimburger alleine auswandern, denn seine Frau Anna Maria, geb. Dietrich, trennte sich lieber von ihm, als mit ihm ein so unsicheres Leben fern der Heimat anzutreten. Umgekehrt war es bei Christian Klingler, dessen Frau Barbara, geb. Ott, ihn im gleichen Jahr sitzen ließ und – im Alter von 71 Jahren – mit einem Sohn nach Illinois zog, wohin zuvor schon eine ihrer Töchter und einer ihrer Söhne ausgewandert waren. 1881 übersiedelte auch Johann Georg Fiehn nach Iowa, kam aber schon ein paar Jahre danach enttäuscht zurück.

Mit ihren Amerikanern hielten die Allmannsweirerinnen und Allmannsweirer noch Jahre nach dem Abschied Kontakt. Ein interessantes Zeugnis aus dem Jahre 1862 hierfür findet sich im Gemeindearchiv: Ein Rundbrief des Generalkonsulats der Vereinigten Staaten von Amerika an die verschiedenen Gemeinden in den deutschen Ländern. Darin heißt es „Die Folgen des gegenwärtigen Amerikanischen Krieges [gemeint ist natürlich der Bürgerkrieg] werden die Beziehungen der diesseitigen Landesangehörigen mit ihren in den Vereinigten Staaten von Amerika lebenden Verwandten in vielfache Anregung bringen.“ Das Konsulat bietet hier Hilfe an, nämlich „die Betheiligten einerseits auf beschleunigtem Wege zu befriedigen, andererseits sie gegen unrechtmäßige Kosten und sonstige Uebervortheilungen zu schützen“, sowie auch „die Vermittlung und Ausführung aller derartigen Angelegenheiten, wie z. B. Einholung von Todesscheinen, Ausfertigung von Vollmachten, Betreibung von Erbschaften“. Dass das amerikanische Konsulat es auf sich nahm, auch während eines blutigen Bürgerkrieges, die Kontakte seiner Landeskinder in die alte Heimat zu sammeln und zu bündeln, und die vielen Briefe der Daheimgebliebenen an ihre Verwandten weiterzuleiten, macht deutlich, welchen Umfang diese Korrespondenz mit dem alten Europa noch hatte und welche Bedeutung die Neuamerikaner ihrer Herkunft noch zumaßen. Erst über die nächsten Generationen verloren sich die Kontakte, erst danach wurden aus Einwanderern Amerikaner.

Auch andere Regionen wurden Ziel der Allmannsweirer Auswanderer. Andreas Dietrich und seine Frau Katharina wanderten 1898 in die Steiermark, nach Ober-St. Kunigund, das heutige Kungota in Slowenien, aus. Andere verschlug es in die Schweiz oder schon 1882 bis nach Australien. 1845 wurde dem jungen Theobald Kunz die Zeit in Allmannsweier auch zu lang. Er gab an, dass er als Bauernknecht arbeiten wollte. Das hätte er natürlich auch im Ried machen können, er aber zog im gesamten Großherzogtum herum. 1847 schickte ihn das Oberamt Kenzingen „wegen Herumziehens nach Hause“, er aber setzte sich mit einem wohl gestohlenen Pferd ins Württembergische ab und trat dann vermutlich in die französische Fremdenlegion ein. Viele zog es auch in die großen Metropolen Europas, wo jedoch Straßburg und gerade auch Paris immer wesentlich mehr Allmannsweirer anzogen als Berlin es je vermocht hatte. Theobald Häß ist zum Beispiel schon 1789, im Jahr der französischen Revolution, nach Lyon übergesiedelt. Anfang des 20. Jahrhunderts zog dagegen Ernst Breithaupt aus Allmannsweier nach London, wo er Friseur wurde. Auch seine Schwester Anna Maria zog mit ihrem Mann Joseph Busch nach England, wo auch er Friseur war, und wo er wohl auch während des Ersten Weltkrieges interniert wurde, wie alle Deutschen in Großbritannien. Andere lebten zu dieser Zeit auch in Paris, wie etwa Andreas Herrenknecht, der in der Hauptstadt sein Geld als Schuhmacher verdiente.

Hunderte Allmannsweirer haben über die Jahrhunderte ihre Heimat verlassen, um anderswo ihr Glück oder ein neues Leben zu suchen. Viele dieser Auswanderer gründeten in den neuen Ländern neue Familien, die bis heute blühen. Den Namen Herrmann findet man etwa in Chillicothe, Ohio, bis heute. In Mühlbach wurde 1824 ein Junge geboren, der später als Afrika-Forscher und als österreichischer Vize-Konsul in Khartum einige Bekanntheit erlangte. Dieser Junge trug den schönen Allmannsweirer Namen Franz Binder. Von Australien bis Amerika, Allmannsweirer finden sich auf der ganzen Welt.